Archiv der Kategorie: Leseempfehlungen

Nina traut sich was

Der kleine Gruselshop – Geister, Spinnen, freche Kraken
von Magdalena Hai

Nina ist neun Jahre alt und wünscht sich ein Fahrrad. Das ist nicht gerade billig. Also möchte sie ein wenig Geld verdienen und betritt den Gruselshop von Herrn Schrull. Der sucht nämlich dringend eine Aushilfe. Doch gerade ist er völlig außer Gefecht gesetzt, denn er wurde mit Juckpulver bestreut. Er lacht und windet sich auf dem Boden. Zwar ist Nina überaus erstaunt über all die Dinge, die sie in dem Laden entdeckt, doch sie hat vom Geisterjungen Eddi erfahren, dass es ganz hinten im Laden irgendwo ein Gegenmittel gibt. Gemeinsam dringen sie bis dorthin vor …

Das Buch ist gleichzeitig ein wenig gruselig und äußerst witzig. Es macht große Freude, gemeinsam mit Nina die außergewöhnlichen Angebote des Gruselshops zu entdecken. Natürlich verstecken sich dort auch ein paar Gegenspieler, Spinnen zum Beispiel oder die Krake Gisbert.

Der Text an sich ist recht kurz. Atmosphäre schaffen die gruselig-humorvollen Illustrationen von Teemu Juhani.

Schön sind auch die Wortschöpfungen für die Angebote im Laden: Feenköttel, Dunkelheit, praktisch abgepackt, Hexenschmerle usw., weil man unwillkürlich darüber nachdenkt, wer diese Dinge wohl wofür brauchen könnte. Oder was man selbst damit anstellen würde?

Fazit: Eine humorvolle Geschichte für Erstleser, die nicht nur den Text für sich entdecken wollen, sondern auch

Liebenswert und überraschend

Weihnachten mit Opa
von Sarah Welk

Jonas und seine Schwester Marie freuen sich auf Weihnachten, wie jedes Jahr und wie alle Kinder. Doch diesmal ist alles ein wenig anders, denn die Eltern der beiden sitzen auf Mallorca fest und werden frühestens Heiligabend in Deutschland ankommen. Das bedeutet, dass Marie und Jonas gemeinsam mit ihrem Opa alles vorbereiten müssen. Opa ist allerdings ein wenig anders drauf als die Eltern der Kinder, er ist lieber spontan und braucht viel Ruhe und seine Vorstellung von einem gemütlichen Weihnachtsfest deckt sich nicht mit der seines Sohnes und seiner Schwiegertochter …

Alles beginnt mit der Ankunft einer Freundin der Kinder auf dem Bahnhof. Lucky hat so viele Geschwister, dass ihre Mutter und sie froh sind, dass Lucky Weihnachten bei Marie und Jonas verbringen kann. Als sie Lucky vom Bahnhof abholen, begegnen sie seltsamen Security-Menschen, als sie den Weihnachtsbaum aus dem Wald holen wollen, begegnen sie zwei Obdachlosen, als sie die Weihnachtsgans abholen wollen, bekommen sie ein neues Haustier und keinen Braten …

Wie doch noch alles auf eine fröhliche und besondere Weihnachtsfeier hinausläuft, entwickelt sich auf 136 Seiten gemächlich und mit viel Sprachwitz und Humor.

Die Schwarz-Weiß-Illustrationen von Alexander von Knorre passen kongenial zum Text von Sarah Welk und unterstützen das Lesevergnügen.

Die Geschichte nimmt sich Zeit für ihre Entwicklung und die Sprache ist für die Zielgruppe angemessen. Die Kinder sind eigenständige Charaktere und auch die Erwachsenen sind nicht bloße Abziehbilder, sondern bekommen ihre Eigenheiten.

Natürlich funktioniert Humor nicht ohne Übertreibung und Zuspitzung, doch das gelingt der Autorin, ohne jemanden in die Pfanne zu hauen oder vorzuführen.

Ein großes Lesevergnügen, das sich sicher auch hervorragend zum Vorlesen eignet.

Wunderbar fantastische Adventsgeschichte

Wieder einmal eine ganz fantastiosche Leseempfehlung für alle Drachenfreunde

Tobias Goldfarb, Spekulatius der Weihnachtsdrache, ein Adventsbuch in 24 Kapiteln, Schneiderbuch

Mats ist – nach Ansicht seiner Mutter – zu alt für ihren selbstgebastelten Adventskalender mit kleinen Päckchen und Süßigkeiten. Stattdessen bekommt er einen Kalender mit schlauen Sprüchen, die ihn ziemlich verärgern. Doch als er durch die Stadt läuft, sieht er genau den Spruch, den er an diesem Tag aus dem Kalender genommen hat, an einem Schaufenster. Als er hineingeht, trifft er auf die Besitzerin, Frau Karma, die ihm ein goldenes Ei schenkt, das sie von einer Reise mitgebracht hat.

Danach verändert sich alles für Mats. Aus dem Ei schlüpft ein winziger Weihnachtsdrache. Er ist golden, hat kleine Flügel und lernt bald, sich mit ihnen zu verständigen. Mats kleine Schwester Matilda weiß auch Bescheid und unterstützt Mats tatkräftig dabei, den kleinen Drachen vor den Eltern und allen anderen versteckt zu halten.

Das ist nicht ganz so einfach, wie es sich anhört. Wie der Drache „Specki“ Spekulatius fliegen lernt, warum er so gerne Lebkuchen frisst und Kakao trinkt, was er als Pipi von sich gibt, woher er stammt und worin sein Geheimnis besteht, das alles wird in den 24 Kapiteln dieses wundervollen Adventskalender-Weihnachtsbuches stimmungsvoll erzählt.

Das Buch ist in Weihnachtsrot eingebunden. Die einzelnen Kapitel sind immer 7 Seiten lang, sodass man etwa ein Viertelstündchen zum Vorlesen benötigt. Der Text wird von zahlreichen, niedlichen, aber nicht süßlichen Illustrationen begleitet. Sie lockern den Text auf, sind humorvoll und bieten Anlass zum Austausch über das Gelesene bzw. Gehörte. Kinder werden einen Heidenspaß an der ganz besonderen Sprache des kleinen Drachen haben – sie eignet sich perfekt zum Nachmachen.

Jedes Kapitel beginnt mit einer bunt gestalteten Seite auf grünem Grund, die den Tag angibt, an dem dieser Teil der Geschichte gelesen werden sollte, wenn man bis Weihnachten alles wissen möchte, was es mit Spekulatius auf sich hat und ob die ganze Sache gut ausgeht. Ich gehe allerdings davon aus, dass die meisten Familien eher alles ausgelesen haben. Das wäre aber auch nicht schlimm. Beim zweiten Lesen entdeckt man sicher noch Details, die einem entgangen sind.

Spannender historischer Roman

„Die Bücherjäger“ von Dirk Husemann, Bastei Lübbe, Juni 2018

Dieser historische (Kriminal?-) Roman spielt zur Zeit des Konstanzer Konzils, also um das Jahr 1417. Es beginnt mit einer sehr amüsanten Szene, in der der Papst um sein Leben rennt. Genauer gesagt einer der Päpste, denn gerade sind drei von ihnen im Amt. Doch es ist weniger der Papst, der in diesem Buch die Hauptrolle spielt, sondern Poggio, der Bücherjäger. Gemeinsam mit Oswald von Wolkenstein reist er in ein Kloster, das abgelegen in den Bergen liegt, um dort in der Bibliothek nach anderweitig verschollenen Büchern zu suchen. Tatsächlich finden Sie ein ausgesprochen interessantes Exemplar, das vom Abt des Klosters für so gefährlich gehalten wird, dass es sogar angekettet wurde. An diesem Ort begegnet ihnen auch Agnes von Mähren, eine Figur, die bald eine größere Rolle in der Geschichte spielt und für Poggio eine noch größere einnimmt.

Oskar von Wolkenstein hat eigene Pläne und hält sich nicht an die Absprache mit Poggio. Dieser ist ein begnadeter Bücherkünstler und würde niemals ein Buch stehlen. Stattdessen würde er es lesen und abschreiben, um es dann nach Rom zu bringen. Doch von Wolkenstein interessiert sich nicht dafür, er legt sogar Feuer der Bibliothek, um mit dem Buch entkommen zu können. Das lässt Poggio nicht auf sich beruhen und jagt ihm hinterher.

Der Autor, Dirk Husemann, arbeitet als Wissenschaftsjournalist und Archäologe, studierte Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Ethnologie und schreibt Reportagen und Sachbücher, und gelegentlich eben auch den einen oder anderen historischen Roman. Seine Kenntnisse kommen ihm dabei ausgesprochen gelegen. Vollständige historische Korrektheit liegt ihm allerdings nicht so sehr am Herzen, wie ein spannender Plot oder die zugrunde liegende Figur, deren Beweggründe er darstellt.

Besonders gut hat mir an diesem historischen Roman gefallen, dass er sich trotz aller historischen Hintergründe und einer in gewisser Weise an die Zeit, über die erzählt wird, angepassten Sprache geschrieben ist, ausgesprochen flüssig und leicht lesen lässt.

In den normalen Erzählfluss eingebunden sind immer wieder Kapitel, die mit einem Stundenglas gekennzeichnet sind. In diesen Kapiteln erzählt der Autor die Vorgeschichte Poggios, wie er zu dem Mann geworden ist, als der er sich den Leserinnen und Lesern heute präsentiert.

Husemann gelingt es, seinen Figuren Leben und Tiefe einzuhauchen. Sowohl die Sympathieträger als auch die Bösewichte gestaltet er nachvollziehbar, sodass man als Leserin mit ihnen mitfiebert oder mitleidet.

Das Buch hält die Spannung von der ersten bis zur letzten Seite und ist damit wirklich ein historischer Roman, den man auch Leserinnen und Lesern empfehlen kann, die keine ausgesprochenen Geschichtsfans sind.

 

Premierenlesung zu „Il Mondo Carillon“ von Diana Naumann

Gestern fand die Premierenlesung von „Il Mondo Carillon“ mit Diana Naumann in Elze unter freiem Himmel statt. Der Kunstverein „Fundus“ hatte den Ort liebevoll geschmückt. Der Wettergott hatte ein Einsehen und die Autorin erzählte, las, schauspielerte ihre Geschichte um Susi und ihre verschwundene Großmutter in der Welt hinter der Spieluhr direkt in die Herzen der Zuhörer.

Krimödie mit Herz – Lotte Minck: Planetenpolka

Ich kann mal wieder was empfehlen:

Lotte Minck, Planetenpolka, bei Droste erschienen.

Der Kommissar Arno Tillikowski ist nach einer Verletzung heute den ersten Tag wieder im Dienst, um ihn nicht gleich zu überfordern, soll er erst einmal Innendienst machen. Er langweilt sich zu Tode und ist zuerst hocherfreut, als Stella Albrecht bei ihm auftaucht. Doch dann kippt alles. Stella erzählt ihm, dass sie wegen eines Horoskops fest davon überzeugt ist, dass die schwerreiche Cäcilie von Breidenbach ermordet wurde und keineswegs, wie vom Arzt bestätigt, eines natürlichen Todes gestorben ist.

Er schickt sie weg und ist fest davon überzeugt, es mit einer Irren zu tun zu haben.

Doch Stella ist nicht verrückt. Sie versteht sich als Lebensberaterin und zieht die Aussagen der Sterne als Grundlage für ihre Empfehlungen zurate. Gleichzeitig begegnen einem im Roman aber auch andere Sterndeuter, die es mehr auf Macht und Geld abgesehen haben und nicht darauf, den Menschen zu helfen.

Stella lässt sich nicht beirren und beginnt, gemeinsam mit ihrem Freund, dem Journalisten Ben, der ebenfalls eine saftige Story wittert, zu ermitteln. Etwas schwierig für die Situation, als sich herausstellt, dass Ben und Arno befreundet sind.

Wir erleben Stella als gestandene Frau, die zwischen Mutter und Großmutter steht, sich aber in ihrem Leben eingerichtet hat und eigentlich zufrieden ist.

Genau wie Arno fehlt ihr allerdings ein Lebenspartner.

Der Kriminalfall entwickelt sich mit einigen Überraschungen und Verwirrungen, doch das steht gar nicht so sehr im Vordergrund. Das Lesevergnügen entwickelt sich in erster Linie aus dem schnoddrigen Erzählstil, der Situationskomik, dem (angemessenen und auch von Lesern aus anderen Bundesländern zu verstehenden) Dialekt und der Tatsache, dass sich weder Autorin noch Ermittlerin zu ernst nehmen.

Lotte Minck hat mit Loretta Luchs bereits eine Ermittlerin geschaffen, mit der die Leserinnen und Leser humorvoll durch einen Kriminalfall wandern können, doch mit Stella erschafft sie nun eine Ermittlerin, die einerseits überlegter vorgeht, andererseits durch ihren Beruf, eben die Astrologie, für interessante Einsichten steht.

Der Kriminalroman kündigt sich selbst als Krimödie an, was den Nagel auf den Kopf trifft. Viel Atmosphäre, ein akzeptabel spannender Kriminalfall und fantastische Figuren.

Christof Weigold – Der Mann, der nicht mitspielt

Atmosphärisch dicht

 

Hardy Engel versucht, als deutscher Einwanderer mit üblen Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, in Hollywood Fuß zu fassen, am liebsten als Schauspieler. Doch dann wird er eher zum Privatdetektiv, der – immerhin – im Filmmilieu ermittelt.

Er wird als Sicherheitschef einer Filmfirma eingestellt, nachdem er eine verschwundene Schauspielerin, die einen Filmboss mit Fotos von außerehelichem Geschlechtsverkehr erpresst hat, recht schnell und lautlos gefunden hat.

Bald erweist sich, dass eigentlich niemand mit offenen Karten spielt und Hardy gerät mehr als einmal in eine bedrohliche Lage. Dabei ist es auch nicht wirklich hilfreich, dass er sich in eine Frau verliebt, von der er weiß, dass sie ihr eigenes Spiel spielt.

Der Autor greift in seinem Buch „echte“ Fälle aus den Goldenen Zwanzigern der Filmindustrie auf und erzählt dazu die „wahren Hintergründe“, die sein Held kennt, eben weil er in diesem Umfeld ermittelt hat.

In diesem Band geht es um eine vermutliche Vergewaltigung mit einer Flasche durch Roscoe „Fatty“ Arbuckle, einen Komiker, die zum Tod der Frau geführt hat. Auch, dass ein Löwe auf dem Studiogelände eine Frau getötet hat, stimmt, doch die Umstände dürften frei erfunden sein.

Insgesamt hat der Autor seinen Stil sowohl seinem Helden als auch der Zeit angeglichen. Die Leserinnen und Leser erfahren außerordentlich viele Details aus der Filmgeschichte. Hut ab vor der Recherche des Autors! Diese werden allerdings so spannend in die Handlung integriert, dass es eine wahre Freude ist, das zu lesen.

Nebenbei spielt auch die Prohibition eine Rolle, genau wie die Zensur. Interessant ist es auch, wenn Stars der damaligen Zeit durchs Bild streichen und einen ganz anderen Eindruck hinterlassen als man ihn vorher hatte.

Spannend inszeniert, actionreich ohne Brutalitäten, humorvoll und sehr nah an den Figuren dran, eine echte Leseempfehlung.

(Kiepenheuer und Witsch)

Max Urlacher – Die Königin von Lankwitz

Königinnen undercover

Als Irene aus dem Gefängnis entlassen wird, braucht sie einen Job, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Gemeinsam mit ihrer – etwas schrillen – Knastfreundin Bea gründet sie eine Firma, die unliebsame (Ehe-)Männer beschädigt, damit sie mindestens genauso leiden müssen, wie bisher die Frauen unter ihnen gelitten haben.

Bea und Irene haben da einschlägige Vorerfahrungen.

Sie stellen einen Kodex auf und halten sich auch daran, zumindest meistens.

Doch dann stellt sich heraus, dass es da noch eine Firma gibt, die ähnliche Dienste anbietet – allerdings morden die im Auftrag. Schnell geraten Bea und Irene in deren Blickfeld, sie brauchen eine Weile, um herauszufinden, worum es eigentlich geht und das bringt sie in große Gefahr.

Die Geschichte wird aus allwissender Sicht erzählt, doch die Leserinnen sind oft nah an Bea dran, die ganz in ihrem neuen Job aufgeht – Auftraggeber zu akquirieren. Die Szenen sind sehr schnell aneinander geschnitten, ein Auftrag folgt dem nächsten, die beiden sind gut im Geschäft und ganz zufrieden mit sich und der Welt in Lankwitz.

So kann es natürlich bleiben und so bekommen die Leserinnen die Chance, den beiden bauernschlauen – oder müsste man stadtschlauen Damen bei ihren Versuchen zuzuschauen, sich aus der Misere zu lavieren. Die Sprache, die der Autor verwendet, ist nah am gesprochenen Wort dran, entspricht ihm aber nicht, sodass sich der Krimi wirklich sehr flüssig lesen lässt und damit leider viel zu schnell am Ende ist.

Die Spannung steigt kontinuierlich, und Bea und Irene wachsen einem schnell ans Herz.

(Ullstein Buch, 978-3-548-29019-5, 10.00 €)

 

Grenzüberschreitungen – Der Belarus-Deal von Peter Hereld

Tom ist ein ziemliches Arschloch, er klaut, betrügt, ist überheblich, behandelt Frauen unangemessen und ist auch sonst ein eher unangenehmer Zeitgenosse. Mit seinen 22 Jahren glaubt er, die Welt sei zu seinem Vergnügen da. Derzeit arbeitet er in einem Fitness-Center, doch eigentlich sieht er sich als Journalist – investigativer Journalist, gefeierter investigativer Journalist. Aus diesem Grund stimmt er einem Treffen mit dem ehemaligen Schulkameraden Reuter zu.

Dieser versorgt ihn mit ausreichend Informationen übers Darknet und eine dubiose Organspendefirma, sodass Tom, ohne groß darüber nachzudenken, einen folgenschweren Entschluss trifft: Er bewirbt sich um ein Organ und wird prompt nach Minsk eingeladen. Mit leichtem Unwohlsein tritt er die Reise an.

Das ist der Anfang einer rasanten Achterbahnfahrt oder eher einer Schussfahrt, deren Ende wegen Nebels nicht zu erkennen ist. Man könnte auch auf einen Steilhang zurasen.

Tom bekommt keinen Moment mehr zum Durchatmen. Er weiß auch bald nicht mehr, wem er vertrauen kann, wie weit die Netze der Organspendefirma reichen und wer warum in diese Angelegenheit verwickelt.

Dabei entwickelt Tom sich langsam, vom Anti-Helden zu einem Helden wider Willen, der immerhin anfängt, über sich, sein Leben und seine Verantwortung gegenüber seinen Mitmenschen nachzudenken.

Es gelingt dem Autor, seine Leserinnen und Leser mitzureißen, sowohl seine Sprache als auch die Entwicklung des Plots, mit überraschenden Wendungen und Bruce-Willis-artigen Stunts, sorgen dafür, dass die Spannung stetig steigt. Atemlos verfolgt man die Flucht Toms, bis zum bitteren Ende.

Es wird deutlich, dass sich der Autor tief in die Materie eingearbeitet hat, die dem Thriller zugrunde liegt. Die dafür notwendigen Informationen verpackt er in spannende Dialoge, die die Handlung vorantreiben.

Besonders der Prolog baut eine Spannung auf, die bequem über die Einführung des Helden und seinen Auftrag hinweg trägt, und sobald er den Ruf zum Abenteuer gehört und die erste Schwelle überschritten hat, mag man das Buch kaum noch weglegen.

Fazit: Ein spannender, schnell geschnittener Thriller zu einem brisanten Thema mit einem überzeugenden Helden, mit dem man trotz aller, oder gerade wegen ?, seiner Schwächen mitfiebert.

Glenn Dixon: Wie ich dank Shakespeare in Verona meine große Liebe fand

Shakespeare sei Dank

Glenn Dixon fährt nach Verona, um als Sekretär Julias Briefe zu beantworten. Seit vielen Jahren trudeln aus aller Welt Briefe an Romeos Julia in Verona ein. Daraufhin hat sich ein Verein gegründet, der versucht, all diese Briefe aufbauend, ermutigend, einfühlsam zu beantworten.

Glenn kommt aber auch nach Verona, um selbst Antworten zu erhalten. Er ist seit vielen Jahren in eine Frau verliebt, die ihn nicht liebt und betrachtet sein Liebesleben als eher erfolglos. Während seines Besuchs in Verona erinnert er sich immer wieder an das letzte Mal, als er Romeo und Julia mit einer Klasse behandelt hat, eine besondere Klasse, ein besonderes Leseabenteuer.

So erfährt der Leser zugleich ganz viel – teilweise in Originalzitaten – über Shakespeares Drama, ein wenig über die Entstehungsgeschichte, vor allem aber auch über die Hintergründe und die Diskussion um die historische Authentizität. Hat es die Familien Capulet und Montague in Verona jemals gegeben? Und wenn, hatten sie einen entsprechenden Streit? Weist eine Stelle in Dantes Werk daraufhin? Welche historischen Stätten in Verona sind wirklich historisch belegt und könnten einen Zusammenhang mit Shakespeares Liebesdrama haben? Welche Figuren sind historisch belegt?

Dies alles diskutiert Dixon in seinem Roman, teilweise ein wenig belehrend, zum größten Teil aber eingebettet in die Handlung der Story, sodass man es gut lesen kann. Wichtig ist auch, dass er an vielen Stellen die Bedeutung bestimmter Textaussagen erläutert und sie in Zusammenhang stellt mit der Liebe und dem Lebensgefühl seiner Schülerinnen und Schüler, die dadurch die Chance haben, den alten Text für sich zu entdecken und ihn sich anzueignen.

Als weiteres Thema hat sich Dixon ausführlich mit der Forschung rund um das Thema Liebe beschäftigt. Auch diese Informationen fließen in das Buch ein, dazu italienische Lebensart, Aufführungen von Opern und natürlich die Liebe – in all ihren Formen und Spielarten.

Insgesamt kann dieses Buch gut dazu beitragen, einen Zugang zu Shakespeares „Romeo und Julia“ zu gewinnen, ganz abgesehen davon, dass dieser Verein, der die Briefe an Juli beantwortet, eine wunderbare Idee ist und viel mehr Beachtung erfahren sollte.

Kiepenheuer und Witsch, 2018